Pro Päd - für engagierte LehrerInnen

(Schreiben) Können kommt wesentlich durch Vermittlung

30.01.2022

Kürzlich hat meine Tochter in der Deutsch-Gymivorbereitung einen Aufsatz abgegeben. Den Text hat sie freiwillig geschrieben, d.h. sie hat ihn zusätzlich über die Weihnachtsferien verfasst (weshalb, siehe unten). Die Lehrerin meinte nach Rückfrage meiner Tochter, wie sie den Text einschätze, meine Tochter habe im Schreiben eine Begabung! Der Text hätte ihrer Einschätzung nach an der Gymiprüfung eine 5,5 oder 6 erhalten.

Ich jedoch denke nicht, dass ihr Können, soweit gediehen, primär durch Begabung zu erklären ist. Denn ich habe meiner Tochter während der Mittelstufe punktuell zu Hause die wichtigsten Tipps beigebracht, die man benötigt, um einen soliden Text schreiben zu können. Mit diesen Tipps und Techniken ist sie in der Lage, einen vernünftigen, gut lesbaren und je nach Thema spannenden Text zu schreiben. Sie hat dies gelernt, indem ich ihr wichtige Aspekte vermittelt habe und sie einige Male zu Hause üben konnte – also mit punktuellem «Unterricht» zu Hause.

Weshalb denn komme ich dazu, ihr dies zu Hause beizubringen? Weshalb schrieb sie über Weihnachten freiwillig einen Text?

  1. Während der Mittelstufe hat die Klasse, die meine Tochter besucht, bisher (6. Klasse, es ist Januar) weniger Texte geschrieben (ganze, eigenständige Texte, zu denen die SuS eine Korrektur und eine Rückmeldung erhielten, egal ob kurz oder lang) als eine einzelne Hand Finger hat – nämlich praktisch keine. Wir erinnern uns beide an einen einzigen Text, den sie geschrieben und zu dem sie von der Lehrperson Korrekturen und Anmerkungen zurückerhalten hat.
  2. Ich freute mich, dass meine Tochter die Gymivorbereitung besucht (obwohl sie in die Sek möchte nach der 6. Klasse), denn ich erhoffte mir, dass sie hier zwecks Übung einige Texte würde schreiben können und eine Korrektur dazu erhalten würde. Jedoch habe ich mich getäuscht: Nun ist es Mitte Januar, und in weniger als 2 Monaten findet diese Prüfung statt – es wurde bisher ein einziger Text geschrieben und mit einigen Korrekturen zurückgegeben.
  3. Sie war vor den Weihnachtsferien sehr oft krank, daher hat sie zu Beginn der Weihnachtsferien zusätzlich eine ganze D-Prüfung gelöst und eben auch einen Text geschrieben.

Bei meinem Sohn war es ungefähr ähnlich. Das Schreiben und Überarbeiten von Texten war kein Thema in seiner Schulzeit. Ich habe es ihm in der Mittel- und Oberstufe punktuell hier zu Hause beigebracht. An der Gymiprüfung erhielt er die Note 5.5 für seinen Aufsatz.

Nun, sicher sind unsere Kinder grundsätzlich intelligent, und wichtige Sprachstrukturen waren aus der frühen Kindheit vorhanden, das ist so. Intelligent sind jedoch viele Kinder – ich traue den SchülerInnen durchaus etwas zu! Dass meine eigenen Kinder nun mehr oder weniger, je nach Verfassung und Aufgabe, einen Text schreiben können und dieser ansprechend daherkommt, verdanken sie nicht primär einer ominösen Begabung, sondern den Tipps und Techniken, die ich ihnen vermittelt habe. Ich war vor vielen Jahren in Schlieren Lehrerin in der Mittelstufe, fünf Jahre lang. Die Oberstufe meldete mir zurück, dass die Kinder sicht- und spürbar gut scheiben konnten. Es ist eine Frage der Vermittlung.

Es sind übrigens nicht derart viele Tipps, um die es hier geht im Hinblick auf die Basisfähigkeiten – aber diese sind entscheidend! Ohne diese Tipps, meine Instruktion, und ohne meine Begleitung und Übung waren sie verloren wie viele Kinder es heute sind. Ihre Texte waren zu Beginn unverständlich, z.T. unlogisch, voller Fehler.
Daher: Ab der 2. Klasse und weiter während der Mittel- und Oberstufe lohnt es sich, regelmässig zu schreiben und mit hilfreichen Rückmeldungen an den Texten zu arbeiten. Was möchte das Kind sagen, ausdrücken? Wie kann es dies tun? Es ist primär eine Frage der Strategien, die die Kinder erhalten, ob sie in der Lage sind, an dem Punkt, wo sie stehen, Fortschritte zu erzielen. Es geht nicht um Wunderkinder und lauter Wundertexte – es geht um die Basisfähigkeit, eigene verständliche und korrekte Sätze in einem bestimmten Zusammenhang formulieren zu können, so dass sie sich ausdrücken können und verstanden werden. Und es geht um die Chancengleichheit!
Kinder, die nicht zufällig Eltern haben, die ihnen dies zu Hause vermitteln, sind verloren – sie sind nicht in der Lage, einen vernünftigen Text zu verfassen, wenn man es ihnen nicht beibringt. Das ist nicht fair!

Ich kann dich als Lehrperson nur ermutigen: Lass die Kinder schreiben! Arbeite mit den Kindern an den Texten. Korrigiere sie und stelle dabei Fragen: Wie meinst du das? Was möchtest du hier sagen? Oder: Achtung: …!
Begleite die SchülerInnen. Sie werden es dir danken und Fortschritte machen.